Den Körper mit „ins Boot holen“
Bewältigung von sexualisierter Gewalt mit Hilfe des Körpers
Warum ist es wichtig, unseren Körper in die Verarbeitung von sexualisierter Gewalt einzubeziehen?
Der Körper – insbesondere das Autonome Nervensystem (ANS) – befindet sich oft viele Jahre nach Gewalterfahrungen immer noch im Ausnahmezustand. Das ist eine wesentliche Ursache für zahlreiche körperliche und psychische Symptome von posttraumatischem Stress.
Durch Mimik, Gestik, Augenausdruck, Muskeltonus, Haltung, Empfindungen und die Zeichen des ANS (Atmung, Herzschlag, Puls…) gibt uns der Körper gleichzeitig kostbare Hinweise für die Traumabewältigung. Auf diese Weise bietet er uns sein instinktives Wissen darüber an, wie akuter und chronifizierter Schock wieder zu lösen sein können.
Heute gibt es sanfte und gleichzeitig effektive Möglichkeiten, unseren Körper und sein Potential bei der Traumabewältigung einzubeziehen, ohne dass es erneut zu Überwältigung und Überforderung kommen muss. Im Folgenden werden einige Ideen aufgeführt, wie dies geschehen kann:
1. Die Ressourcen und Überlebenskräfte unseres Körpers kennen lernen:
Wie haben wir, wie hat der Körper es eigentlich geschafft zu überleben? Was hat er damit zu tun, dass sich körperliche und psychische Symptome oft hartnäckig halten? Wie kann der Körper dazu beitragen, den alten Stress zu lösen? Wenn der Verstand Antworten auf Fragen wie diese findet und die Zusammenhänge zwischen dem Körper und seinen Bewältigungsstrategien verstehen lernt, erhält das Nervensystem gute Ausgangsbedingungen, um sich wieder regulieren und leichter entspannen zu können.
2. Achtsamkeit üben: Unser Körper ist ein ausgezeichneter Anker in der Gegenwart und wir können ihn nur JETZT erleben. Wenn es gelingt, die Achtsamkeit auf unseren Körper zu lenken, ohne von ihm überwältigt zu werden, schaffen wir gute Voraussetzungen, im Hier und Heute Zugang zu seiner autonomen Regulation zu bekommen. Diese Fähigkeit ist lernbar.
Durch die Achtsamkeit wird es möglich, stecken gebliebene Handlungsimpulse aufzuspüren und zu Ende zu bringen. Dazu gehören Verteidigungs-, Flucht- und Orientierungsbewegungen. Mit Hilfe von spontanen Bewegungen im Körper wie z.B. Zittern und Vibrieren kann das Nervensystem außerdem die eingefrorene Schockenergie abschütteln und für Stabilität und Erdung sorgen.
3. Spüren lernen: Bei der Freilegung dieser Reaktionen spielt unsere Körpersprache eine entscheidende Rolle. Dabei helfen die Körperempfindungen, die wir spüren, erkennen und verstehen lernen können. Über sie wird erfahrbar, ob sich unser System in hoher Erregung befindet oder dabei ist, wieder zur Ruhe zurück zu kehren. Indem diese Empfindungen außerdem unsere Gedanken und Emotionen unmittelbar widerspiegeln, geben sie auf verlässliche Weise Auskunft darüber, welche Interventionen, Strategien, Handlungen usw. für die Traumabewältigung förderlich sind und welche dabei zu Hindernissen werden. Unser Körper kann so zu einem erstaunlichen Ratgeber werden.
4. Beruhigung erfahren: Es lässt sich außerdem lernen, verunsichernde und ängstigende Körper-erfahrungen in einer Haltung von Akzeptanz und Annahme zu beobachten, ohne sich in ihre Geschichten zu verstricken. Belastende Empfindungen wie zum Beispiel Schmerzen können dadurch nachlassen und/oder leichter aushaltbar werden. Dies führt mit einiger Übung nach und nach zur Beruhigung des Körpers. In Folge dessen kann sich diese ausgleichende Wirkung auch auf unsere Emotionen und Gedanken ausbreiten.
Wesentlich ist, sich mit körperbezogenen Übungen und Informationen wie den eben beschriebenen kleinschrittig vertraut zu machen und sie in der Anwendung so zu dosieren, dass sie im Rahmen der Therapie und im Alltag die bestmögliche Kraft für die Verarbeitung sexualisierter Gewalt entfalten können.